Bibellektüre für Fortgeschrittene

Bibel

Der vierfache Schriftsinn

Von Bertolt Brecht, nach seinem Lieblingsbuch gefragt, heißt es: „Sie werden lachen – die Bibel.“ Dieses Zitat macht deutlich, welchen Eindruck die Heilige Schrift selbst bei denen hinterlässt, die nicht im Verdacht stehen, religiöse Leser zu sein. Hat Brecht, der Realist, mit gestütztem Kopf über der Bibel liegend, Entspannung gesucht, Trost empfunden, sich vielleicht moralische Gewissheit verschafft? Wie dem auch sei, die Vorstellung, dass die Bibel, rein zur Unterhaltung verschlungen, zur Lieblingslektüre wird, mag befremdlich wirken. Die Fachleute sprechen im Gegenteil von gestufter Lektüre. Über vier Stufen, wie über die Schwelle in Salomos Tempel, gelange der Leser in das Innere des Textes, hätten die Kirchenväter hinzugefügt.

Littera gesta docet,
quid credas allegoria,
moralis quid agas,
quo tendas anagogia.

(Der Buchstabe lehrt die Ereignisse,
was du zu glauben hast, die Allegorie,
die Moral, was du zu tun hast,
wohin du streben sollst, die Anagogie.)

Brecht deutet an, dass die Bibel entspannt und mit Lust gelesen werden könne. Die Bibel enthält einer solchen Auffassung nach Geschichten, deren Weg – wenn die Zeit dazu vorhanden ist – mit Interesse verfolgt werden kann wie die Geschichten über den listenreichen Odysseus oder über den Herrscher von Camelot. Die Bibel lehrt freilich in großen Teilen geschichtliche Gegenstände (littera gesta docet), interessante Geschichten von uralten Geschlechtern, sagenhaft nachgeformt, findet der Leser dagegen nur in Ausnahmefällen, z. B. in den Davidssagen.

Wie spricht die Bibel beispielsweise von der Entstehung der Welt: Wünscht die Schöpfungsgeschichte sich den lauten und eindringlichen Vortrag vor einer Ver-sammlung oder den privaten Leser in der stillen Kammer? Wie soll die Stellungnahme des Lesers oder der versammelten Gemeinde ausfallen?

Arbeitsanregungen für kreative Köpfe:

  • Wie liest du die Schöpfungsgeschichte?
  • Wie deutest du sie – historisch, allegorisch, moralisch, anagogisch?
  • Worin liegt ihr Sinn?
  • Wie würdest du sie illustrieren, inszenieren?
  • Wie würde sie als Gesellschaftsspiel vom Publikum aufgenommen werden?
  • Wie könnte die Spielanleitung formuliert werden?