Gerechtigkeit und Gesetz
Im Matthäusevangelium steht die Bemerkung über Josef, der sich Maria, seiner Verlobten, gegenüber gerecht verhält, indem er ihr Kind adoptiert (vgl. Mt 1,18–25). Der Fall liegt so: Als seine Verlobte einen Sohn empfängt, weiß Josef, dass er nicht der Vater ist. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass Josef, der einfache Zimmermann, den Fall zur Anzeige gebracht und damit öffentlich gemacht hätte. Im Gegenteil, rechtschaffen, wie er ist, möchte er Maria heimlich aus dem Verlöbnis entlassen. Nicht in bitterer Rechthaberei, sondern in der Gerechtigkeit steckt der Segen. Dieser Gedanke wird dem Leser des Matthäusevangeliums immer wieder entgegengehalten, und er wird in der Vorgeschichte des Evangeliums bereits deutlich. In der Bergpredigt steht dann genauer, was unter der Gerechtigkeit zu verstehen sei: die Erfüllung des Gesetzes (vgl. Mt 5,17–20). Die irdische Tora, das Gesetz, ist jüdischer Denkungsart zufolge überall zu finden: „Denn Amen, das sage ich euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird nicht ein einziges Jota oder ein einziges Häkchen vom Gesetz vergehen, bis alles geschieht“ (Mt 5, 18). Nur soviel ist allerdings klar: Die Gerechtigkeit darf nicht in Selbstherrlichkeit und Selbstgerechtigkeit enden, sonst blieben nämlich die Tore der himmlischen Tora verschlossen. „Ich sage euch nämlich: Wenn eure Gerechtigkeit nicht im Überfluss vorhanden ist, mehr als die der Schriftgelehrten und Pharisäer, werdet ihr keineswegs in das Himmelreich kommen“ (Mt 5,20).