Zur Wiederaufnahme des Prozesses gegen Jesus von Nazareth
Es wäre eine Taktlosigkeit gewesen, sich heute nicht am Gericht zu zeigen. Hatten sich nicht alle im Hof des Präfekten versammelt? Was war geblieben von der Aufregung um Jesus, nachdem auch der wieder aufgerollte Prozess gegen ihn, um den sich Maria, seine Mutter, und einige Anhänger bemüht hatten – „der Gerechtigkeit wegen“, hieß es – erneut mit einem Schuldspruch beendet worden war?
Wie hatte die örtliche Presse den Ausgang des ersten Prozesses aufgenommen? „Die meisten jedoch erachteten ihn für so gut wie gar nichts. Deshalb wurde ihm ein kurzer Prozess gemacht. Er hatte zu seiner Verteidigung wenig vorzubringen“, hatte einer der Journalisten kurz nach dem ersten Prozess geschrieben, der noch vor Pontius Pilatus geführt worden war, dem im Dezember abgesetzten Präfekten. Sollte die öffentliche Meinung sich ein neues Urteil über Jesus bilden? Hätte der Prozess im Jahr 2019 ein anderes Ende gefunden als unter Pontius Pilatus? Vermutlich nicht. Offenbar ist es unmöglich für Menschen, Gerechtigkeit wiederherzustellen, wenn die Geschichte über angebliche Erlöser und Wundertäter hinweggegangen ist.
Mit schlechtem Gewissen betrete ich, ratlos blickend, den Hof des Gerichtsgebäudes. Innerhalb der Mauern hatte sich die Menge langsam aufgelöst. Einige standen in Gruppen, rauchten, einige lehnten noch, halb sitzend, an den Mauervorsprüngen. War Jesus nicht zum Opfer der Verhältnisse geworden – nicht zum Opfer der Juden, nicht zum Opfer der Römer, wie zuweilen behauptet worden war – und würde jederzeit wieder am Kreuze enden? Wen sollte ich von diesen da fragen?